Mit kleinen Tellern die Finanzen im Griff

Leseprobe Profit First

Warum schaute ich mir Werbesendungen an, wenn wir mittlerweile 2.976 Kanäle zur Auswahl haben? Als alles den Bach heruntergegangen war, war Kabelfernsehen mit das erste, was wir abschafften. Somit blieb mir nur eine Zimmerantenne (Googlet das, Ihr jungen Padawans) und fünf Kanäle, die um drei Uhr morgens nichts anderes bieten, als die neuste Kiste zum Pulverisieren von Gemüse und den Elektrogürtel – alles für den Waschbrettbauch.

Als ich die Nase voll hatte von Werbesendungen, schaltete ich auf PBS um. Ein Fitnessexperte erläuterte dem Studiopublikum, dass die Hauruckmaßnahmen, die in spätabendlichen Werbesendungen gefeiert werden, nicht funktionieren und dass sie nicht nachhaltig seien. Er sagte, was wir wirklich brauchten, seien Veränderungen in unserem Lebensstil, die unsere Essgewohnheiten verbessern, ohne dass wir es richtig merken. Und seine erste Anregung? Kleinere Teller.

Jetzt war ich fasziniert und hörte zu, wie der Mann erklärte, dass es normales menschliches Verhalten darstellt, unsere Teller mit Essen vollzuladen und dann, weil Mama uns das so gelehrt hat, den Teller leer zu futtern. (Ich habe Mamas Logik an dieser Stelle nie verstanden – Kinder in Afrika hungern und deshalb muss ich mich fett fressen?) Aber ich gehöre noch immer zum Club der Teller-leer-Esser, und Dir geht’s vielleicht genauso. Die Logik ist tief verwurzelt. Diese Verhaltensweise für einen Tag zu verändern – kein Ding. Aber langfristig? Das ist schwer. Aus diesem Grund nehmen viele Menschen nach einer Diät wieder zu, und viele bleiben nicht länger als bis Ende Januar bei ihren guten Vorsätzen von Neujahr. Und deshalb ist es so schwierig, diszipliniert mit unserem Geld umzugehen.

Ich schaute weiter zu, und der Experte sagte: Wenn wir kleinere Teller verwenden, ergeben sich daraus kleinere Portionen, weshalb wir weniger Kalorien zu uns nehmen – und wir bleiben bei unserem erlernten Verhalten, den Teller zu füllen und alles zu essen, was darauf liegt.

Ich setzte mich kerzengerade auf die Couch, völlig fasziniert von diesen neuen Erkenntnissen. Die Lösung liegt nicht darin, unsere tiefverwurzelten Angewohnheiten zu verändern – was wirklich schwierig und langfristig fast unmöglich ist. Sondern darin, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass wir diese Angewohnheiten sogar als Hebel nutzen können.

Da wurde mir klar: Jeder Cent, den mein Unternehmen erwirtschaftete, landete auf dem gleichen riesigen Teller, und ich futterte alles auf und nutzte jeden letzten Rest, um mein Unternehmen in Betrieb zu halten. Jeder Euro, der reinkam, landete auf dem gleichen Konto, meinem normalen Girokonto, und ich „aß alles auf“.

Es ist schmerzhaft, das zuzugeben: Ich konnte nie gut mit Geld umgehen. Während meine Unternehmen gut liefen, war es einfach zu glauben, ich wüsste, wie man gut mit Geld umgeht. Wenn ich aber jetzt zurückschaue, wird mir klar, wie schlecht ich gewirtschaftet habe. Ich dachte, ich sei sparsam aus Prinzip oder weil ich ein so cleverer Geschäftsmann bin. In Wirklichkeit aber war ich nur deswegen zurückhaltend mit den Unternehmensfinanzen, weil ich dazu gezwungen war. Als ich mein erstes Unternehmen gründete, als Netzwerkspezialist, hatte ich kein Geld. Ich konnte Umsatz machen, Dienstleistungen anbieten und mein Büro unterhalten – all dies nahezu ohne Geld, weil ich keins hatte.

Als das Unternehmen wuchs, begann ich, Geld auszugeben. Je mehr ich verdiente, desto mehr gab ich aus. Und ich glaubte – streich das: Ich war davon überzeugt, alle Kosten seien notwendig. Wir brauchten eine bessere Ausstattung, ein besseres Büro (ein unfertiger Keller ist nicht der richtige Ort für ein Unternehmen). Ich stellte Leute an, um die Arbeit zu erledigen, damit ich mich auf den Umsatz konzentrieren konnte. Jeder Schritt nach vorn in der Umsatzentwicklung benötigte einen etwa gleich großen Schritt in meiner Infrastruktur, an Mitarbeitern, schicken Büroräumen – alles tolle Ausdrücke für „Kosten“.

Nachdem ich alles verloren hatte, wurde mir klar, dass ich mit allem arbeite, was ich gerade zur Hand habe. Gib mir 100 Euro und ich mach’s. Gib mir 100.000 Euro und ich mach’s. Auch wenn 100.000 Euro das Leben leichter machen, ist es weitaus einfacher, mit so viel Geld Fehler zu machen. Verschwende ein paar Hundert Euro, wenn Du 100.000 zur Verfügung hast, und es ist Dir egal. Verschwende ein 54 paar Hundert Euro, wenn das alles ist, was Du hast, und Du spürst den Schmerz – unmittelbar und sehr stark.

 

Einnahmen-vs-Ausgaben2

Einnahmen vs. Ausgaben

 

Wenn ich auf meine Unternehmen zurückschaue, wird mir klar, dass ich zwar ein rasches Unternehmenswachstum realisieren konnte – aber ich lebte von der Hand in den Mund. Richtiges Geld habe ich erst im Moment des Verkaufs verdient. Während meine Einnahmen stiegen (die gepunktete Linie in Abbildung 2), gingen meine Ausgaben mit (durchgezogene Linie). Ich konnte nur dann Gewinn vorweisen, wenn die Einnahmen sprunghaft anstiegen, sodass mir nicht genug Zeit blieb, alles im gleichen Tempo wieder auszugeben (Punkt A). Dessen ungeachtet, steigerte ich rasch meine Ausgaben, um mich meinem „neuen Umsatzniveau“ anzupassen (Punkt B). Doch mein Umsatz blieb dann auf dem Plateau oder ging sogar wieder zurück, während die Ausgaben auf dem neuen Level konstant blieben (Punkt C). Ich machte Verluste und der verzweifelte Drang, mehr und schneller Umsatz zu generieren (was wiederum die Kosten trieb), wurde stärker.

Als die PBS-Sendung in die frühmorgendlichen Kindersendungen überging, stellte ich den Fernseher stumm und begann, eins und eins zusammenzuzählen (was Count von Count, der Vampir aus der Sesamstraße ebenfalls tat, im wahrsten Wortsinne zählte er auf dem Bildschirm eins und eins zusammen). Ich überlegte: Wenn ich die Zeit Geld A B C Ausgaben Einnahmen 55 ,Tellergrößeʻ für das normale Geschäftskonto meines Unternehmens verringere, würde ich dann mein Kostenbewusstsein verändern? Ich würde also nicht einfach versuchen, mein Ausgabeverhalten zu kontrollieren, sondern für mich die Situation schaffen, dass ich weniger Geld zur Verfügung hätte, als in Wirklichkeit da war. Und dann würde ich immer noch Wege finden, damit das Ganze funktionierte. Wie kam ich darauf, dass dies funktionieren könnte? Weil es für Millionen Menschen bereits bei jeder Gehaltszahlung funktioniert – zum Beispiel mit den vermögenswirksamen Leistungen (VL). Wie Richard Thaler und Cass Sunstein in ihrem faszinierenden Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ erläutern: Wenn Leute mit den Einzahlungen in ihre VL (bzw. 401(k) in den USA) beginnen, geben sie das nur selten wieder auf. Der Schlüssel liegt im Anfangen, damit das Gesparte wachsen kann, und darin, den Lebensstil anzupassen, um mit dem auszukommen, was übrig bleibt.

Wenn VL-Konten so wären wie normale Sparkonten, würde man das viel zu verlockend finden und leicht auf das Geld zugreifen, wenn einem dies in den Sinn kommt. Das macht aber keiner, weil es Strafgebühren kostet, und weil es nicht leicht ist, jederzeit an das Geld heranzukommen. Genauso könnte ich mich selbst glauben lassen und entsprechend verhalten, grad so als hätte ich nur einen „kleinen Teller“ mit Geld, mit dem ich auskommen müsste (und nicht nur einen kleinen Teller und einen Riesentopf auf dem Tisch).

Was würde ich denn mit dem „anderen Geld“ tun? Könnte ich es verwenden, um – gute Güte! – mir selbst ein Gehalt zu zahlen? Um meine Steuern zu zahlen? Moment! Warte! Einen Augenblick mal! Könnte ich vielleicht sogar einen Teil des Geldes als Gewinn auf die Seite legen – noch bevor ich meine Rechnungen bezahle?

Und da kam mir diese Erkenntnis: Was wäre, wenn ich zuerst meinen Gewinn entnehmen würde – Profit First?

Für jemanden, der zwei Unternehmen mit Fokus auf den Umsatz aufgebaut hatte, waren diese Gedanken eine Erleuchtung. Um sechs Uhr morgens mit einer Bierfahne, Flecken auf meinem Unterhemd und Haaren, die wilder abstanden als bei Einstein, klang es wie wirres Geschwätz.

***

Dieser Text ist ein Auszug (S. 52-55) aus der zweiten Auflage des Buches von Mike Michalowicz:
Profit First. Ein einfaches System, jedwedes Unternehmen von einem kapitalfressenden Monster in eine Geldmaschine zu verwandeln

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Unternehmensfinanzen: Profit FirstMike Michalowicz: Profit First. Ein einfaches System, jedwedes Unternehmen von einem kapitalfressenden Monster in eine Geldmaschine zu verwandeln

2., erweiterte und aktualisierte Auflage

 

 

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