Es gibt kein Patentrezept fürs Schreiben. Wir alle haben unterschiedliche Arbeitsweisen – und das ist vollkommen in Ordnung. Und doch gibt es Dinge, die dir beim Verfassen von Texten helfen können. Aus meiner Sicht gehört vor allem die Persona dazu sowie eine klare Vorstellung von den einzelnen Schreibarbeitsschritten. Von der Persona habe ich an anderer Stelle erzählt. Hier zeige ich dir, wie du den Schreibprozess in fünf Schritten bewältigen kannst.
Schritt 1: Exposee
Natürlich gibt es „Drauflosschreiber“: Eine Idee zuckt durch dein Hirn, du schreibst alles auf, was dir einfällt. Fertig ist ein Text. Das ist in Ordnung, vor allem bei kürzeren Texten. Jedenfalls, wenn auf diesen Schreibanfall ordentliches Überarbeiten, also Redigieren folgt. Bei längeren Texten ist dieses unsystematische Vorgehen problematisch, denn es sorgt für einen großen Berg an Mehrschreibarbeit.
Ich würde empfehlen, zunächst ein Exposee zu verfassen: einen kurzen Text, in dem du festlegst, was du zu schreiben planst. Zusätzlich zu dieser Hauptaussage notierst du die Hauptkapitel. Die Hauptkapitel wiederum unterteilst du in Unterkapitel mit den zugehörigen untergeordneten Aussagen. Auch jedes Unterkapitel hat spezifische Aufgaben zu erledigen. Ob du dort etwas Neues vermitteln möchtest oder einen bereits festgehaltenen Punkt weiter ausführen: Halte in Unterfragen fest, was du dort jeweils ausführen möchtest.
Du kannst für diesen ersten Gliederungsentwurf – nichts anderes entsteht ja nach dem Aufschreiben der Hauptaussage – eine Tabelle nutzen oder eine Mindmap. Ich selbst nutze gern Post-its, die ich auf einem Blatt Flipchart-Papier oder an einer Wand gruppieren kann. Natürlich kannst du auch Apps oder spezifische Software einsetzen. Das hängt von deiner Schreibarbeitsweise ab. Wähle Tools, die dich unterstützen. Wenn du dich jedes Mal überwinden musst, zu einem bestimmten Tool zu greifen, ist es nicht das richtige für dich.
Zwei Dinge sind hier zentral:
- Mache dir klar, wie deine Hauptaussage und die Unteraussagen zusammenspielen. Wenn du zuviele „Nebenwege“ erkennst, denke daran: Weglassen ist die eigentliche Kunst …
- Diese Gliederung ist einerseits verbindlich. Du hast jetzt festgelegt, in welche Richtung deine Schreibbemühungen gehen werden. Zugleich ist diese Gliederung dynamisch. Im Schreiben wirst du feststellen, dass sich der ein oder andere Schwerpunkt verschiebt. Das ist in Ordnung – prüfe aber, dass du nicht zu leichtfertig die Richtung änderst. Der rote Faden darf erkennbar bleiben!
Ich empfehle, mit der eigentlichen Textproduktion erst dann zu beginnen, wenn die Gliederung steht.
Schritt 2: Rohtext
Die Produktion von Rohtext gehört für viele Autor:innen zur größten Herausforderung beim Schreiben überhaupt. Impulsive Schreiber:innen haben Probleme damit, erst eine Marschroute festzulegen und dann zu schreiben. Doch viele Schreiber:innen kämpfen damit, direkt druckreif schreiben zu wollen.
„Mach’s perfekt!“ ist ein Antreiber, der vielfach beim Schreiben zu fehlender Produktivität führt. Wenn wir im ersten Schritt schreiben, wie uns die Feder gewachsen ist, können wir zu einem späteren Zeitpunkt überarbeiten. Wollen wir aber gleich schon den ersten Satz perfekt schreiben, kommen wir kaum darüber hinaus.
Deshalb empfehle ich, entlang der zuvor entworfenen Gliederung einfach zu schreiben. Ohne Rücksicht auf Stil, Grammatik, Zeichensetzung, Rechtschreibung. Ja, selbst ohne Rücksicht darauf, ob bereits alles widerspruchsfrei zusammenpasst, ob es Lücken gibt oder Wiederholungen. All dies sind Dinge, die in den beiden nächsten Schritten adressiert werden.
Auch hier rate ich wiederum, auf zwei wichtige Dinge zu achten:
- Nutze eine eigene Legende, um für dich Stellen für die nächste Überarbeitung zu markieren. Zum Beispiel kannst du als Platzhalter ## einsetzen, wenn du Zahlen oder Quellen nachliefern möchtest. && könnte für Stellen stehen, bei denen dir das passende Wort fehlt (du kennst das: Es liegt dir quasi auf der Zunge, aber es mag dir nicht einfallen). Und bei %% weißt du, dass du an diesem Punkt einen weiteren Aspekt einarbeiten möchtest. Diese Legende (natürlich kannst du deine ganz eigene erfinden!) hilft dir dabei, den Schreibprozess nicht zu unterbrechen: Arbeitest du stattdessen mit verschiedenen Farben oder mit Kommentaren an dich selbst, verlässt du die unmittelbare Schreibebene – und genau das wollen wir mit der Legende vermeiden. So bleibst du im Flow.
- Wenn du eine neue Schreibzeit beginnst, fängst du nicht damit an, dich einzulesen. Und wenn doch, dann konzentrierst du dich darauf, sofort nach dem Lesen weiterzuschreiben. Du hältst dich selbst davon ab, in eine Überarbeitungsschleife einzusteigen. Dein Ziel ist, möglichst viel Rohtext zu produzieren, bevor du an Überarbeitungen gehst. Deine Platzhalter darfst du auflösen – dafür lassen sich häufig kleine Zeitschnipsel einsetzen. Aber du überarbeitest noch nicht mit Blick auf Veröffentlichungsreife.
Du musst nicht dein komplettes Manuskript als Rohtext vorliegen haben, um mit dem nächsten Schritt zu beginnen. Allerdings kannst du noch nicht abschließend strukturieren, wenn du deinen Text nicht ganz fertiggestellt hast.
Schritt 3: Struktur
Beim Rohtexten verlieren wir gelegentlich die Struktur aus den Augen: Wir schreiben in Schleifen und Sprüngen, es gibt Wiederholungen und Verweise ins Leere. Deshalb ist es sinnvoll, immer mal wieder ins Strukturieren zu gehen, auch wenn der Text als Ganzes noch wächst. Aber erst wenn dein Text vollständig ist, kannst du das Strukturieren zu einem guten Ende bringen.
Vor allem bei längeren Texten kann das Strukturieren zu einer großen Herausforderung werden. Wenn du deinen Text nicht in einem Rutsch durchlesen kannst, besteht die Gefahr, dass du den roten Faden nicht mehr im Kopf behalten kannst. Du kannst dich hier mit „hidden Headers“ selbst unterstützen.
Jedes Hauptkapitel trägt eine wichtige Aussage, jedes Unterkapitel eine untergeordnete Aussage und jeder Absatz liefert seinen eigenen Beitrag zum großen Ganzen. Um zu prüfen, ob die Abfolge deiner Absätze ins Gesamtgefüge passt, kannst du sie mit einer eigenen Überschrift versehen. Dazu nutzt du ein oder zwei Schlagworte aus dem jeweiligen Absatz. Im nächsten Schritt lässt du dir von deiner Textverarbeitung nur die Gliederung anzeigen. Schon kannst du leicht nachvollziehen, ob jeder Absatz an der richtigen Stelle steht und ob die Argumentation schlüssig aufgebaut ist. Die hidden Headers löschst du am Ende wieder – auch sie sind nur Tools, die dir das Leben erleichtern sollen.
Wenn es sehr vertrackt wurde, hat eine meiner Coachees ihren Text samt hidden Headers ausgedruckt. Dann hat sie ihn zerschnitten und neu zusammengefügt. Ihr fiel diese Arbeit auf Papier leichter, als dies direkt am Rechner vorzunehmen. Jedes Tool ist gut, wenn es deiner Schreibarbeitsweise entgegenkommt!
Übrigens: Beim Strukturieren wird es auch Streichungen geben! Auch das ist für viele Autor:innen schmerzhaft. Ist doch jeder Satz mit Herzblut geschrieben … Sollte es dir besonders schwerfallen, Dinge wegzulassen, verschiebe sie in ein neues Dokument. Du kannst dich damit trösten, dass du es ein andernmal für einen anderen Text nutzen wirst.
Du bist am Ende von Schritt 3 an einem Punkt, da deine Platzhalter aufgelöst sind und die Struktur weitestgehend steht. Der Text selbst ist aber noch voller Fehler und stilistisch alles andere als brilliant. Er schreit also regelrecht nach Lektorat.
Schritt 4: Lektorat
Das Lektorat besteht ebenfalls aus mehreren Schritten. Solltest du deinen Text Dritten zum Lesen geben, stelle sicher, dass du in dieser Zeit mit deinem Text nichts machst. Wenn du in der Zeit selbst überarbeitest, bekommst du Rückmeldung zu einem Text, den es nicht mehr gibt. Das ist für diejenigen frustrierend, die deinen Text überarbeitet haben. Damit ist nämlich ein Teil ihrer Arbeit für die Katz.
Ohnehin würde ich dir unbedingt ans Herz legen, dass du deinen Text „ruhen“ lässt. Wenn du dich lange mit deinem eigenen Text beschäftigt hast, kannst du ihn auswendig. Du liest also gar nicht das, was da steht. Sondern du liest das, was du glaubst, geschrieben zu haben. Deshalb ist es wichtig, dass du Abstand gewinnst von deinem Text – und das geht am besten, indem du ihn mindestens über Nacht wegpackst. Erst wenn du ihn zur Hand nimmst und gar nicht mehr genau weißt, was du da geschrieben hattest, kannst du wirklich lesen, was da steht.
Das finale Überarbeiten deines Textes ist ein sehr intensiver und unter Umständen langwieriger Prozess. Du begibst dich auf eine andere Ebene, bist nicht mehr bloß Autor:in sondern versuchst, dich in die Rolle deiner Leser:innen einzufinden. Damit übernimmst du zwangsweise die Regie über deinen Text: Anstatt als Schreiberling hindurchzustolpern, erhebst du dich auf Textadler-Schwingen in die Lüfte und überlegst Gestalt und Gestaltung ganz bewusst. Das klingt nicht nur nach viel Arbeit: Das ist es auch!
Mit den letzten Überarbeitungen und Korrekturen wird dein Text nun endlich veröffentlichungsreif!
Schritt 5: Veröffentlichen
Ob du mit einem Verlag oder im Selfpublishing veröffentlichst, ist deine Entscheidung. Tipps und Kriterien dazu findest du in meinen Blogartikeln Self-Publishing oder Verlagspublikation? und Wie und wo veröffentlichen?
Mit einer Sache kannst du aber schon jetzt rechnen: Sobald du dein Buch in Händen hältst (oder das erste Mal online durchscrollst), schlägst du es auf und findest – einen Fehler!
Des ungeachtet wünsche ich dir viel Spaß bei deiner Schreibarbeit. Und wenn du eine Coach oder Mentorin brauchst, wenn du Fragen zum Publizieren mit einem Verlag hast, kannst du dich gern an mich wenden. Ich unterstütze dich gern, so gut ich kann!
Weitere Tipps und Tricks zum Schreiben und Veröffentlichen findest du zudem in meinem Buch Schreib dich an die Spitze!, das du im Budrich-Onlineshop kaufen kannst (oder natürlich in jeder Buchhandlung!).