Eine liebe Bekannte hat mir einen Impuls gegeben, der mich über „weibliche Führung“ hat nachdenken lassen. Warum sind Frauen in Führung und Gründung in der Minderheit? Gibt es spezifische „weibliche Führungsmerkmale“? Und was würden wir, die Führungsfrauen von heute, dem Nachwuchs raten? In diesem Blogpost habe ich meine Gedanken zusammengetragen und bin zu der wenig überraschenden Erkenntnis gelangt: Es gibt Mythen über weibliche Führung, die die Leistung von Frauen abwerten.
Führungsfrauen in Deutschland
Die aktuelle Statistik verheißt nichts Gutes mit Blick auf Unternehmensgründerinnen und weibliche Führungskräfte in Deutschland. Der Frauenanteil bei Führungskräften lag 2021 knapp unter 30% (29,2%), so berichtet das Statistische Bundesamt. Deutschland kam damit auf Platz 20 in der EU, weit hinter Lettland, Polen, Schweden (Plätze 1 bis 3) – kein Ruhmesblatt. Im Bereich KMU wurden 2022 von den insgesamt 3,8 Millionen Unternehmen in Deutschland lediglich 608.000 von Frauen geführt, sagt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Das war schon 2015 nicht besser. Damals Grund genug für das Bundeswirtschaftsminiterium die Kampagne „Frauen unternehmen“ ins Leben zu rufen und „Vorbildunternehmerinnen“ zu ernennen – von denen ich selbst eine bin. Unsere Aufgabe ist es, jungen Menschen, vor allem jungen Frauen, Unternehmerisches ans Herz zu legen.
Über die letzten knapp 20 Jahre, in denen ich mit meinen Unternehmen selbstständig bin, habe ich zahllose Frauen in Führungspositionen in ihren eigenen oder den Unternehmen anderer kennengelernt. Ich habe ihre Führungsstile, Kommunikationsweisen und Kooperationsbereitschaft erlebt. Und zwar als sehr unterschiedlich. Manchmal werde ich gefragt, was „weibliche Führung“ ausmacht. Doch weiß ich nicht so recht, was das sein soll.
Was bedeutet weibliche Führung?
Als habe ich ChatGPT gefragt, was denn die wichtigsten Charakteristika weiblicher Führung sind. Als Antwort kamen „kooperativer und egalitärer Führungsstil“, „wertschätzendes und entgegenkommendes Verhalten“ mit daraus folgender „höherer Zufriedenheit der Mitarbeiter“. Gespräche mit Vertreter:innen der jüngeren Generation (Millennials und Gen Z) untermauerte meine Vermutung: Diese Charakteristika spiegeln nicht etwa aktuelle Erkenntnisse zum Thema Führung, sondern eher Vorurteile von vor etwa 10 bis 20 Jahren zum Thema „weibliche Führung“. Was nicht überrascht. ChatGPT macht ja fast nichts anderes, als gängige Vorurteile zusammenzutragen (ja, ja, das IST stark verkürzt, aber vom Prinzip her nicht falsch). Ein solches Vorurteil hätten wir hier. Überspitzt: „Frauen, auch Führungsfrauen, sind lieb“.
Dieses Vorurteil kann ich mit zahlreichen eigenen Erfahrungen illustrieren. Hier eine aus jüngster Zeit: Mein Verlag Barbara Budrich hat dieses Jahr (2023) eine eigene Unterstützungskasse ins Leben gerufen. Also eine eigene betriebliche Altersvorsorge. Im Gegensatz zur gängigen Versicherungslösung über Drittanbieter hat das Unternehmen damit selbst die Verantwortung für diese Säule der Altersvorsorge der teilnehmenden Mitarbeiter:innen. Mithin auch selbst die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten. Mein Berater betonte wieder und wieder, dass mein Unternehmen sehr viel für die Belegschaft tut – von flexibler Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung über Sachbezug bis hin zu Boni und weiteren „weichen“ Faktoren wie Förderung von Weiterbildung usw. Bei unserem vorerst letzten Gespräch sagte er: „Das liegt bestimmt daran, dass Sie als Frau dieses Unternehmen führen.“ Da ist es wieder „Frauen sind lieb“, auch Unternehmerinnen zu ihrer Belegschaft.
Was mich ärgert an diesem Bild von „weiblicher Führung“
Wenn mir jemand attestiert, dass in meinem Unternehmen eine hervorragende Unternehmenskultur herrscht und dass dem Team eine hohe Wertschätzung entgegegengebracht wird, freue ich mich. Wenn dies aber damit begründet wird, dass ich eine Frau bin, dann ärgert mich das. Ich versuche mal, das zu erklären:
Wir arbeiten als Führungstrio in meinem Unternehmen an wertebasierter Führung. Wir haben einen „Code of Conduct“ als Teil eines Mitarbeiter:innen-Handbuchs, ein „Buddy-System“, einen ausgeklügelten Rekrutierungsprozess und viele Führungsinstrumente. Meine Führungsriege und ich haben viele Bücher zum Thema Führung gelesen, wir haben uns mit vielen anderen Menschen in Führung ausgetauscht und uns weitergebildet. Zusammen mit Christine Ehlers habe ich ein Führungsprogramm für kleine und Kleinstunternehmen ins Leben gerufen, das Inspirited Leadership Training. Und noch mehr Zeit, Geld und Energie in meine eigenen Weiterbildung gesteckt. Und all das nur weil ich eine Frau bin?
In dieser Art von Vorurteil steckt eine Abwertung des Engagements und der Selbstwirksamkeit von Frauen. Wäre ich ein Mann, hätte ich mir diese Dinge hart erarbeitet. Aber dadurch, dass ich eine Frau bin, kann ich quasi gar nicht anders: Ich „muss“ „lieb“ sein. Deshalb stelle ich beispielsweise das Wohlergehen meines Teams vor mein Eigeninteresse.
Ich bin nicht ganz sicher, inwieweit in dieser Art von Vorurteil die Konfliktbereitschaft enthalten ist, die jeder Mensch braucht, um ein Unternehmen zu führen, ein Team zu leiten, überhaupt Erfolg zu haben. Hinzu kommt, dass diese Art der Unternehmenskultur, die wir bewusst kreiert haben, einen großen, auch einen wirtschaftlichen Wert darstellt. Indem wir als Unternehmen ein wertebasiertes und wertschätzendes Miteinander kultivieren, schaffen wir ein positives „Employer-Branding“. In Zeiten des Arbeitskräftemangels gibt dies einen großen Wettbewerbsvorteil. Das ist reines Eigeninteresse. Klingt gar nicht mehr so lieb und kuschelig.
Führungsfrauen haben einen großen Vorteil
Als Frau in Führung habe ich einen großen Vorteil: Ich werde häufig unterschätzt. Ich bemühe mich darum, freundlich zu sein und zuvorkommend. Ich bemühe mich um Win-win-Lösungen, um gute Angebote für unsere Kund:innen und faires Miteinander mit Lieferanten und dem Team. Das Schlüsselwort in diesem Kontext ist „fair“. Wenn jemand meint, freundlich sei schwach, dann irrt dieser Mensch. Und wenn jemand meint „Fairness“ bedeute ein Win-lose-Szenario, bei dem ich die Verliererin bin, dann irrt auch dieser Mensch.
Ich habe von meinen großen Vorbildern viel gelernt. Am meisten haben mich jene Führungskräfte – unabhängig vom Geschlecht – beeindruckt, die bei aller Durchsetzungsstärke nie den Respekt vor anderen verloren haben. Eine dieser beeindruckenden Führungskräfte ist Marguerite Barankitse, die während des Bürgerkriegs in Burundi 1993 unter Einsatz ihres eigenen Lebens Kinder gerettet hat. Im Maison Shalom hat sie ihnen ein Zuhause gegeben. Und aus den anfänglich 25 Kindern sind mittlerweile Tausende geworden.
Wie gesagt: Ich weiß nicht, was weibliche Führung ausmacht. Die überkommenen Ideen von weiblicher Führung jedenfalls helfen uns nicht weiter. Wenn wir als Gesellschaft wollen, dass mehr Frauen in Führung gehen, wäre es gut, ein paar Vorstellungen abzulegen. Zum Beispiel die Vorstellung: „Frauen sind lieb“. Und es wäre hervorragend, wenn die „alten weißen Frauen“ so wie ich und meine Kohorte, uns darauf einigen könnten, junge Führungsfrauen zu empowern: ihnen den Steigbügel zu halten und ihnen im Wort- wie auch im übertragenen Sinne die „Power Poses“ der großartigen Amy Cuddy beizubringen. Damit sie selbstbewusst auf dem aufbauen können, was wir Zwerginnen und Zwerge auf den Schultern der Riesinnen und Riesen, die vor uns kamen, erschaffen haben.
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