Im Falle eines Unternehmensnotfalls

Jeder Fall der schief läuft, ist einer zu viel

Alle 18 Minuten könnte eine Unternehmerfamilie in Deutschland das erleben, was meine Eltern erlebt haben. Tag für Tag könnten es bis zu 79 Firmenchefs sein, die ernsthaft erkranken und dadurch mindestens sechs Wochen lang ausfallen oder versterben. Bis zu 29.000 Betriebe mit Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern. Mit noch abzuarbeitenden Aufträgen, laufenden Bankkrediten, noch zu zahlenden Lieferantenrechnungen. Ja, alle diese Zahlen sind reine Theorie. Ich habe bislang niemanden getroffen, der mir diese Zahlen hätte bestätigen oder korrigieren können. Ich kann mir vorstellen, dass diese Zahlen zu hoch gegriffen sind und es bedeutend weniger sind. Ich hoffe es sogar. Wäre es nicht eine fantastische Nachricht, wenn man herausfinden würde, dass man als Unternehmerin nur einen Bruchteil des allgemeinen Risikos hätte, schwer krank zu werden oder zu versterben? Bei allen Zahlenspielen ist aber letztlich Fakt, dass auch wir Unternehmer nicht davor gefeit sind, ernsthaft zu erkranken oder vorzeitig zu versterben. Fakt ist auch, dass von uns als Anführern und Schlüsselpersonen im Regelfall die Existenz einer Anzahl von anderen Menschen abhängt, oder zumindest beeinflusst wird. Wie viele Personen jedes Jahr vor einer ungewissen Zukunft stehen und wie viel Wirtschaftsleistung verloren geht, weiß niemand. Ich bin der Meinung, dass es letztlich auch egal ist und nicht darauf ankommt, wie viele Fälle es genau sind. Ich denke, dass das Risiko, das mit dem Ausfall eines Firmeninhabers eintreten könnte, so klein wie nur irgend möglich gehalten werden sollte. Und zwar für alle, die davon direkt oder indirekt betroffen sind. Ich meine damit nicht nur Unternehmer wie Dich und mich. Sondern auch unsere Partner und Kinder zu Hause, unsere Mitarbeiter, unsere Kunden, unsere Bank, unsere Lieferanten, und und und. Ein bedeutender Risikofaktor ist – wie wir gesehen haben – die mit hoher Wahrscheinlichkeit zuerst eintretende emotionale Überforderung unserer wichtigsten Vertrauensperson. So wie es meine Frau mir gegenüber offen beschrieben hat. Sollte sie im Ernstfall die Zügel in die Hand bekommen, wäre sie sich nicht zu fein, um um Hilfe zu bitten und dafür dankbar, eine Lösung zu haben, auf die sie dann zurückgreifen kann. Diese können wir als Unternehmer liefern – und zwar alle gemeinsam.

Unternehmernotruf Deutschland: der ADAC für Unternehmernotfälle

Im vorangegangenen Kapitel habe ich von Notfallunterstützung für Unternehmerfamilien von Profis gesprochen und meinte damit eine Person, die meine Frau anrufen kann, wenn mir morgen etwas passiert. Eine Person, die sich mit solchen Situationen auskennt, und die Erfahrung, Kontakte und Beziehungen hat. Jemand, der dabei hilft, alles auf die Reihe zu bekommen, zumindest eine Zeit lang. Jemand, der gerne Menschen hilft, wenn die Not am größten ist. Also jemanden, wie ihn die Unternehmerin aus Schwäbisch Hall 2010 gesucht und in mir gefunden hat. Als mir das klar wurde, hat sich für mich der Kreis ganzheitlicher Unternehmervorsorge geschlossen. Das Puzzle, das Du als runden Kreis auf dem Buchcover vorne siehst, war damit vollständig. Auch als Unternehmer können wir es nicht verhindern, einmal von einem Schicksalsschlag direkt betroffen zu sein. Was wir aber verändern können, sind die daraus resultierenden Folgen für alle Betroffenen. Wir haben es in der Hand, die Situation für unser Umfeld um ein Vielfaches leichter zu machen und dafür zu sorgen, dass unser existenzielles Fundament und das der davon abhängigen Menschen nicht mit uns zusammenbricht. Deshalb habe ich ab Sommer 2019 mit anderen Unternehmern begonnen, den Unternehmernotruf Deutschland zu entwickeln und aufzubauen. Eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmerfamilien für den Falle des Falles, die rund um die Uhr erreichbar ist. Im Unternehmernotruf sind Experten in Sachen „plötzlicher Ausfall des Chefs“ zu finden, die jahrelange Erfahrung im Umgang mit solchen Notsituationen haben. Den gelben Engel – wir haben ihn Profi-Ersthelfer genannt. Aufgabe: Unternehmerfamilien in Phase 1 helfen, die Folgen eines Unternehmerausfalls erfolgreich zu bewältigen. Dazu verfolgt der Unternehmernotruf Deutschland das Ziel, ein Netzwerk aus Unternehmern und Unternehmerinnen zu schaffen, die in Notsituationen zusammenhalten. Menschen, die sich gegenseitig unter_stützen und die miteinander und füreinander da sind, wenn es zählt. Ein Notfallnetzwerk von hilfsbereiten Unternehmern, die neben Hilfsbereitschaft auch Kontakte und Know-How besitzen, das in Notsituationen gebraucht wird und abgerufen werden kann. Über dieses Notfallnetzwerk werden Kompetenzen und Fähigkeiten organisiert, die in der jeweiligen Einzelsituation vor Ort fehlen, aber dringend gebraucht werden. Sowohl in persönlichen, als auch in betrieblichen Fragen. Denn wer weiß am besten, was Unternehmerinnen brauchen, wenn nicht wir Unternehmer selbst? „Der ADAC für Unternehmernotfälle, für den Fall, dass der Unternehmer oder jemand aus dessen Familie eine gesundheitliche Panne hat“, wie es ein Unternehmer im Sommer 2020 ausdrückte.

Unternehmer helfen Unternehmern – wie das in der Praxis aussieht

Kurz vor Weihnachten 2019 ging die erste Webseite des Unternehmernotrufs online. Nicht einmal vier Wochen später hatten wir bereits den ersten Notfall. Mitte Januar 2020 rief mich der IT-Unternehmer Frank aus Magdeburg an, den ich 2017 kennengelernt hatte. 2018 hatte ich mit ihm einen Notfallkoffer gepackt. Frank kannte auch das Unternehmernotruf- Vorhaben von Anfang an. Dass es ausgerechnet ihn erwischt hatte, war für mich natürlich zunächst aufwühlend. Andererseits war Frank stets ein Gesprächspartner, der sehr offen über alles mit mir sprach und der den potentiellen Wert des Unternehmernotrufs für ihn selbst bestens kannte. Das machte es mir leichter, mich auf die Aufgabe des Profi-Ersthelfers zu konzentrieren und dabei eine erste, wichtige Lektion zu lernen, die uns Unternehmern nicht immer geläufig ist. Ein Profi-Ersthelfer muss mit_fühlen können, darf aber nicht mit_leiden. Er muss also zwischen Mitgefühl und Mitleid unterscheiden können. Kann er das nicht, ist er nicht geeignet für den Job, weil er womöglich selbst in ein emotionales Loch fällt. Die zweite Lektion, die ich lernen durfte, bestand darin, als Profi- Ersthelfer als allererstes den aktuellen Engpass herauszufinden und zu lösen. Bei Frank bestand dieser Engpass im Januar 2020 nicht darin, wie es mit seiner Firma weitergeht. Also wer die Anrufe entgegennimmt. Wer den Kunden Bescheid gibt. Wer die Buchhaltung macht. Es ging nicht um Aufgaben, bei denen aus einem Brainstorming heraus selbstverständlich gewesen wäre, dass sich jemand darum kümmern musste. Nein, während der ersten sechs Wochen war Franks Aufmerksamkeit vor allem darauf gerichtet, herauszufinden und zu verstehen, an was er eigentlich erkrankt war. Die Antwort auf die Frage „Was um Gottes Willen ist mit mir los“ war die drängendste. Und natürlich die Antwort auf die Frage: „Wie werde ich das schnellstmöglich wieder los und gesund?“. Sechs lange, quälende Wochen hat es gedauert, bis feststand, dass Frank an Leberkrebs erkrankt war. In dieser ersten Zeit konnte ich ihn als Profi-Ersthelfer hauptsächlich mental unterstützen und ihm Mut machen. Und konnte ihm aus dem Netzwerk bereits Kontakt zu einem sehr erfahrenen Arzt verschaffen der ihm half, das ganze fachchinesisch der Befunde zu verstehen. Diese 2. Lektion hat dazu geführt, dass es heute ein Gesundheitslotsen- Netzwerk aus erfahrenen Medizinern und ganzheitlich denkenden Gesundheitsexperten beim Unternehmernotruf gibt. Es war auch dieser Arzt aus dem Gesundheitslotsen-Netzwerk, der mit Frank alle Therapiealternativen aus neutraler Sicht besprach. Als sich herausstellte, dass eine klassische Chemotherapie zu riskant für ihn war, stellte dieser Arzt den Kontakt zu einem auf Leberkrebs spezialisierten Arzt aus Frankfurt her. Nach einem ersten Treffen war klar, dass Frank mit Hilfe der Spezialtherapie dieses Arztes eine realistische Chance hatte, wieder gesund zu werden. Erster Engpass gelöst. Der zweite folgte postwendend. Der Haken war, dass Franks Krankenkasse sich weigerte, die Kosten von etwa 28.000 € für diese Spezialtherapie zu übernehmen. Die Kosten einer klassischen Chemotherapie, die in etwa genauso hoch gewesen wären, hätten sie dagegen übernommen. Auch wenn diese medizinisch viel zu riskant und deshalb keine Alternative war. Wie würdest Du Dich entscheiden? Natürlich hat sich Frank für die besseren Heilungschancen entschieden. Die Finanzierung der Therapie für Frank konnten wir sehr zügig durch Privatdarlehen von zwei hilfsbereiten Unternehmern lösen. Parallel dazu wurde ein Anwalt tätig, der Franks Rechte gegenüber seiner Krankenkasse durchsetzte. 5 Monate nachdem Frank die Therapie bereits begonnen hatte, lenkte die Krankenkasse schließlich ein und übernahm Stück für Stück die Kosten der Behandlung. Nachdem klar war, wie Frank dem Tumor medizinisch entgegentreten konnte, wie er das finanziell hinbekam und dass seine Rechte bei seiner Krankenkasse eingefordert wurden, konnte er sich erst einmal auf seine Genesung fokussieren. Und wir auf alle anderen Bereiche rund um Firma & Co., die auf der Liste der Aufgaben standen, bei denen ich ihn mit meinem Team in der Folge unterstützen konnte. Die Dankbarkeit, die Frank im Mai 2020 in einem Interview zum Ausdruck brachte, werde ich nie vergessen. In diesen Monaten habe ich nicht nur wertvolle Erfahrungen gesammelt, sondern auch den Beweis dafür bekommen, wie wertvoll diese Unterstützung für eine Person ist, die sich theoretisch zwar auch selbst um all das hätte kümmern können, aber seelisch und energetisch dazu nicht in der Lage war. Zusätzlich gab mir dieser Einsatz das Gefühl, etwas voller Sinn und Menschlichkeit zu tun. Franks Geschichte ist nicht nur ein gutes Beispiel dafür, wie der Unternehmernotruf funktioniert und wie man Betroffenen konkret Hilfe leisten kann. Sie ist auch sein Vermächtnis. Sein Kampf gegen den Krebs begann leider zu spät. Am 31.12.2020 ist er daran verstorben. Das Happy End für ihn blieb aus. Was neben allem anderen bleibt, ist, dass ihn seine Erkrankung in den elf Monaten bis zu seinem Tod zu keiner Zeit daran gehindert hat, anderen mit seinem Beispiel bewusst zu machen, wie wichtig der Unternehmernotruf Deutschland ist und sein kann. In persönlichen Gesprächen ebenso wie in öffentlichen Interviews, die er in dieser Zeit gegeben hat, hat er dies immer wieder unterstrichen. Mit seiner Geschichte halten wir das Andenken an ihn und sein Vermächtnis für uns alle am Leben. Er hat gewollt, dass wir seine Geschichte in die Öffentlichkeit tragen. Damit hat sie nicht nur seinen Platz in Vorträgen oder auf der Webseite des Unternehmernotrufs gefunden – sondern so bleibt uns Frank auch in lebendiger Erinnerung.

 

Dies ist eine Leseprobe aus dem Buch „Sorgenlos – Das ABC ganzheitlicher Unternehmervorsorge“ von Thomas Schleicher. Im Handel und in unserem Online-Shop als eBook und gedruckt (Versand innerhalb Deutschlands portofrei und klimaneutral).

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